Auf dem roten Teppich - Erinnerungen an Frieda Goralewski by Goralewski Gesellschaft

Auf dem roten Teppich - Erinnerungen an Frieda Goralewski by Goralewski Gesellschaft

Autor:Goralewski Gesellschaft [Gesellschaft, Goralewski]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783748169420
Google: kiugwgEACAAJ
Herausgeber: Books on Demand
veröffentlicht: 2018-12-14T22:00:00+00:00


Erinnerungen an Einzelstunden

Der Gedanke, mit Gora und ihrer Intensität allein zu sein, flößte mir gelegentlich Angst ein, zumindest bescherte er mir ein flaues Gefühl in der Magengegend. Manchmal konnte ich diesen klaren Spiegel (Gora) nicht ertragen und versuchte, ihm aus dem Weg zu gehen oder mich in der Gruppe zu verstecken.

Mich ergriff das bestimmte Gefühl, dass sie mich durchschaute und in meinen Gedanken und Emotionen lesen konnte wie in einem aufgeschlagenen Buch. Natürlich hatte ich sie in der Gruppe auch zornig, ärgerlich und wütend erlebt. Dem konnte ich entweichen, wenn ich mir innerlich zuflüsterte: „Damit meint sie nicht mich.“ Womit ich mich natürlich belog.

Selbstverständlich zweifelte ich auch manchmal an Gora und an dem, was sie mich lehrte. In solchen Phasen befielen mich widersprüchliche Gefühle und Gedanken hinsichtlich ihrer Persönlichkeit. Einerseits repräsentierte sie eine alte, gehbehinderte Dame, die selbst auf Hilfe angewiesen war. Andererseits erkannte ich in ihr die starke, selbstbewusste, unantastbare, liebevolle, nie fassbare, große und sich ständig wandelnde Persönlichkeit, die sehr in der Gegenwart lebte. Voraussehbar waren ihr Verhalten und ihre Reaktionen nie.

In einer Einzelstunde forderte sie mich auf, am Skelett den Brustkorb und die Rippen zu erforschen. Sie wies mich an, von unten her in den Brustkorb des Skeletts zu fassen, von innen her an den Rippenbögen entlangzustreifen und dabei insbesondere die Zwischenräume zu erkunden.

Sie hatte wohl sofort an der Form meines Brustkorbs erkannt, was für mich wichtig wäre. Noch heute streiche ich gerne über meinen Brustkorb, ertaste die Rippen und ihre Zwischenräume. Es bewirkt ein Seufzen, Befreiung und Sinkenlassen der unteren Rippenbögen: Nichts Besonderes darstellen zu müssen, um akzeptiert und geliebt zu werden. Mich weich und entspannt fühlen, ohne die Angst, verletzt zu werden.

In meiner zweiten Einzelstunde begab sich Gora mit mir in ihr Privatzimmer im ersten Stock im Oberhaardter Weg. In jener Stunde widmeten wir uns dem „Sehen“. „Gucken lernen, wieder gucken lernen“, betonte sie, während ich aus dem Fenster schaute. Sie zeigte mir, wie ich Stirn und Augenbögen anfassen und massieren sollte. Sie ermunterte mich, meinen Blick schweifen zu lassen. Die Bäume vor dem Fenster, die Weite und die Natur ließ sie mich betrachten, wahrnehmen, genießen und in mich hereinlassen. Auf die Bedeutung von Licht und Sonne, ohne die ja kein Sehen möglich sei, wies sie mich ausdrücklich hin.

Indem ich lernte, mich auf den Prozess des Sehens einzulassen, und ihn bewusster wahrnahm, machte ich erstaunliche Entdeckungen: Raum und Bewegung betrachten, Gefühlszustand und Sehvorgang, Farbwahrnehmung, Wechsel zwischen Aufnehmen und Ausstrahlen, Wahrnehmung der Muskeln in Stirn-, Augen- und Nackenbereich.



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